Kennen Sie all Ihre unternehmerischen Kernkompetenzen?

Mit den eigenen Kernkompetenzen zu neuen Geschäftsmodellen

Short Facts

  • Unternehmen sollten sich auf die Suche nach ihren Kernkompetenzen machen
  • Kernkompetenzen sind die Grundlagen für neue Geschäftsmodelle
  • Kernkompetenzen erlauben Geschäftsmodelle auf der 3. Horizontebene
     

Grundlagen, Eigenschaften und Einsatzfelder von Kernkompetenzen

Grundlagen, Eigenschaften und Einsatzfelder von Kernkompetenzen

 

Was haben Unternehmen wie About You, Amazon, Edding, Fuji, Heidelberg, Reifenhäuser, Van Laack, Viessmann und Zender gemeinsam? Alle diese Unternehmen haben in ihren eigenen Tätigkeiten Kernkompetenzen ausfindig gemacht und für temporäre Geschäfte oder für ganz neue Geschäftsmodelle erschlossen. Es lohnt sich deshalb auf die Suche nach den eigenen unternehmerischen Kernkompetenzen zu gehen.

 

Wofür steht der Begriff „Kernkompetenz“?

Mit dem Begriff der unternehmerischen Kernkompetenz wird die Fähigkeit eines Unternehmens beschrieben, eine Leistung im Vergleich zu Wettbewerbern wertstiftender erbringen zu können. Diese höhere Wertstiftung kann auf einer ökonomischeren Leistungserbringung und/oder einer höheren Nutzenorientierung für die Anwenderschaft basieren. Kernkompetenzen sind die Grundlage, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Dies gelingt besonders dann, wenn die Kernkompetenzen nur schwer zu kopieren sind.

Unternehmen entwickeln ihre Kernkompetenzen, während sie bestimmte Produkte und Dienstleistungen erbringen. Basierend auf den – im Zuge der Leistungserbringung gewonnenen – Erfahrungen sowie den entwickelten Fähigkeiten und Fertigkeiten werden diese Kompetenzen immer weiter verfeinert – und damit für Wettbewerber immer schwerer nachvollziehbar.

Folgende Fragen helfen, um die eigenen Kernkompetenzen zu ermitteln:

  • Warum sind wir in der Lage, bestimmte Produkte und/oder Dienstleistungen mit einem – im Vergleich zum Wettbewerb – besonders hohen Kundennutzen zu erzeugen?
  • Warum können wir Produkte und/oder Dienstleistungen mit geringeren Kosten erstellen als andere Unternehmen?
  • Sind die von uns eingesetzten Prozesse sowie unsere Produkte und Dienstleistungen durch Wettbewerber nur schwer zu kopieren?

Ein solcher interner Fokus auf die Prozesse, Strukturen und Fähigkeiten eines Unternehmens ermöglicht einen spannenden Blick auf folgende Frage:

Können diese – häufig über Jahre oder Jahrzehnte – für ein bestimmtes Geschäftsmodell erarbeiteten Kernkompetenzen auch für ganz andersartige Geschäftsmodelle eingesetzt werden?

Auf die Fragestellung einer Diversifikation des Geschäftsmodells zielt dieser Beitrag ab. Aber auch darauf, wie die eigenen Kernkompetenzen temporär genutzt werden können, um herausfordernde Zeiten besser zu bestehen.

 

Überzeugende Beispiele für die temporäre Nutzung von Kernkompetenzen in Krisensituationen

Die Nutzung der eigenen Kernkompetenzen für andere Aktivitäten kann punktuell erfolgen – bspw. in Krisen. So änderte der Autozulieferer Zender aus Osnabrück in der Corona-Pandemie sein Leistungsspektrum, um der Kurzarbeit zu entgehen. Statt Carbon-Teile und Innenraumverkleidungen fertigte das Unternehmen während der Pandemie FFP2-Schutzmasken. Hierbei besann sich das Unternehmen auf seine Kernkompetenzen: die Verarbeitung von Industriestoffen sowie das Schneiden, Nähen und Schweißen von Textilien. Dies alles sind auch notwendige Schritte für die Maskenherstellung. Das Ergebnis: Bei Zender Germany hieß es dann „Maskenproduktion statt Kurzarbeit“ – ermöglicht durch ein schnelles Agieren der Unternehmensleitung sowie die Flexibilität der Mitarbeiter.

Eine ähnliche Flexibilität bezüglich der Herstellung von Masken statt „exklusiver Bekleidung für Sie und Ihn“ zeigte Van Laack. Für die Kultur dieses Unternehmens spricht die Tatsache, dass der Impuls für die Produktion von Masken von der vietnamesischen Betriebsleiterin in Hanoi kam – und das schon im Januar 2020. Zunächst zögerte der Geschäftsführer, ließ sich aber schließlich von der Initiative der Betriebsleiterin überzeugen. Schon im Februar 2020 kamen die ersten 10.000 Masken in Deutschland an. Schnell wurden in der Spitze eine Millionen Stück produziert – pro Tag. Der Verkauf fand nicht in Luxusgeschäften statt, sondern bei Netto und im dm-Drogerie-Markt – fünf Stück bspw. für 9,70 €. Aber natürlich waren die Masken auch im Online-Shop von Van Laack verfügbar.

Ein weiteres überzeugendes Beispiel liefert das Familienunternehmen Reifenhäuser – Weltmarktführer im Maschinenbau für die Vliesstoff-Herstellung. Das Unternehmen hatte schon zu Beginn der Corona-Pandemie erkannt, dass Europa Millionen von Schutzmasken benötigt, aber diese zu ca. 90 % in China hergestellt werden. China hatte den Export von Schutzkleidung zunächst verboten, später wurden diese Produkte meist zu sehr hohen Preisen ausgeführt, weil sich viele Länder den Nachschub sichern wollten. Um diesen Mangel zu überwinden, stellte Reifenhäuser das für Masken notwendige Vlies auf den Vorführanlagen im eigenen Forschungs- und Entwicklungszentrum in Troisdorf selbst her und lieferte es an Weiterverarbeiter in Europa aus.

Auch das auf Heiz -und Kühltechnik spezialisierte Unternehmen Viessmann agierte flexibel in der Corona-Pandemie. Das Unternehmen stellte bereits im April 2020 Teile der Produktion auf Beatmungsgeräte, mobile Versorgungsstationen, Gesichtsmasken und Desinfektionsmittel um. Seine – bei der Produktion von Heiz -und Kühltechnik erworbenen – Kernkompetenzen flossen in die Herstellung von Beatmungsgeräten ein. Gefertigt auf Produktionsanlagen für Gaswand-Heizgeräte. Die Ideen zur Umsetzung kamen dabei von der Belegschaft selbst.

Ein solcher flexibler Einsatz von Kernkompetenzen erhöht gleichzeitig die Resilienz des Unternehmens und zeigt die Flexibilität im Denken und Handeln der verantwortlichen Personen.

 

Beispiele für neue – auf Kernkompetenzen – aufsetzende Geschäftsmodelle

Geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie verschiedene – im Zuge der Umsetzung des Geschäftsmodells E-Commerce entwickelte – Kernkompetenzen auch für neue Geschäftsmodelle eingesetzt werden können, liefert Amazon. Im Jahr 1999 erwarb Amazon das Unternehmen Kiva, einen Hersteller von Lagerrobotern, um die eigene Logistik in den Verteilzentren zu verbessern. Aus einer ursprünglichen Randkompetenz von Amazon wurde eine Kernkompetenz entwickelt. Heute werden unter dem Namen Amazon Robotics mobile Roboter-Fulfillment-Systeme angeboten. Eine intern entwickelte Kernkompetenz wurde zur Grundlage eines neuen Geschäftsmodells und somit zur Geschäftsmodell-Diversifikation.

Im Zuge der Entwicklung von Amazon zur erfolgreichsten E-Commerce-Plattform der Welt lernte Amazon auch, wie man IT-Center organisiert. Bereits im Jahr 2003 wurde Amazon Web Services gegründet, um dem Markt Web-Hosting-Services anzubieten. Diese Sparte hat sich inzwischen zum profitabelsten Unternehmensbereich entwickelt.

Eine ähnliche Entwicklung zeigte sich beim E-Commerce-Fashion-Anbieter About You – einem Unternehmen der Otto-Gruppe. 2017 stieg About You – aufbauend auf eigene Kernkompetenzen – mit der About You Cloud in das Cloud-Geschäft ein. Heute bietet das Fashion-Tech-Unternehmen mit der About You Commerce Suite eine eigene E-Commerce-Infrastruktur als Lizenzprodukt an. Auch dies stellt eine Diversifikation der Geschäftsmodelle dar.

Eine spannende Entwicklung wurde auch von Fuji vollzogen. Im Jahr 1934 etablierte sich Fuji als Hersteller von Kinofilmen. Aufgrund der einbrechenden Nachfrage beendete Fujifilm 2004 sein Fotofilm-zentriertes Geschäftsmodell. Die im Zuge der Filmproduktion erworbenen Kompetenzen der Nano-Technologie wurden für die Entwicklung von Kosmetika sowie für weitere neue Geschäftsfelder eingesetzt.

Einen spannenden Weg hat auch Edding eingeschlagen – bekannt vor allem für seine Filzmarker. Das Unternehmen hat über die Jahre eine große Kompetenz im Bereich Tinte erworben. Hier stellte sich die Frage: Wo wird Tinte auch noch benötigt? Vielleicht kam der Impuls von jungen Mitarbeitern: nämlich beim Tätowieren! Heute stellt Edding auch Tinte fürs Tätowieren her – und im Jahr 2020 wurde im Chilehaus in Hamburg das erste Edding Tattoo Studio eröffnet. Jetzt heißt es bei Edding auch: Willkommen in unserer Welt des Tätowierens!

Der Rückgang der Nachfrage nach Printprodukten und damit auch nach Maschinen für den Druck hat für Heidelberger Druckmaschinen bereits über viele Jahre zu existentiellen Krisen geführt. Jetzt hat sich das Unternehmen auf seine Kernkompetenzen als Automatisierungs- und Technologie-Unternehmen besonnen – und baut Wallboxen zum Laden von Elektroautos. Die Grundlage hierfür ist das umfassende Technologie-Know-how sowie die Fähigkeit, überzeugende Software und benutzerfreundliche Bedienoberflächen zu entwickeln. Alle diese Fähigkeiten und Fertigkeiten werden nicht nur zur Herstellung von Druckmaschinen benötigt, sondern auch für die Produktion von Wallboxen. Und bei Letzteren ist über die nächsten Jahre mit einem großen Wachstum zu rechnen – ganz anders als bei Druckmaschinen.

 

Machen Sie sich auf die Suche nach den Kernkompetenzen Ihres Unternehmens – es lohnt sich!

Allerdings ist es mit dem „Finden“ allein noch nicht genug. Jetzt gehört eine große Portion Unternehmer-Spirit dazu, den „Aufbruch zu neuen Ufern“ zu wagen. Zwar sind die Kernkompetenzen bekannt – jedoch gilt es diese in neue Geschäftsmodelle zu transferieren. Hierfür sind weitere Skills erforderlich, die nicht notwendigerweise schon im Unternehmen vorliegen. Hierfür ist Mut der Entscheider notwendig – um auf Horizont 3 aktiv zu werden.

Die beschriebenen Beispiele zeigen, dass aus Kernkompetenzen die Rettung eines Unternehmens erwachsen kann, das sich mit massiven, weltweiten Nachfragerückgängen konfrontiert sieht. Ganz anders bei Amazon: Hier wurde die Sparte Amazon Web Services sogar zum profitabelsten Unternehmensbereich – und dessen Chef Andy Jassy zum Nachfolger von Jeff Bezos an der Spitze von Amazon.

Damit wird deutlich:

Think Big ist notwendig, um ganz gezielt aus Kernkompetenzen neue Geschäftsmodelle zu schmieden!

 

Über den Autor | Ralf T. Kreutzer

Professor für Marketing | Berlin School of Economics and Law

Prof. Dr. Ralf T. Kreutzer ist seit 2005 Professor für Marketing an der Hochschule für Wirtschaft und Recht/Berlin School of Economics and Law. Parallel ist er als Trainer, Coach sowie als Marketing und Management Consultant tätig. Er war 15 Jahre in verschiedenen Führungspositionen bei Bertelsmann (letzte Position Direktor des Auslandsbereichs einer Tochtergesellschaft), Volkswagen (Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft) und der Deutschen Post (Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft) tätig, bevor er 2005 zum Professor für Marketing berufen wurde. 

Professor Kreutzer hat durch regelmäßige Publikationen und Keynote-Vorträge (u.a. in Deutschland, Österreich, Schweiz, Frankreich, Belgien, Singapur, Indien, Japan, Russland, USA) maßgebliche Impulse zu verschiedenen Themen rund um Marketing, Dialog-Marketing, CRM/Kundenbindungssysteme, Database-Marketing, Online-Marketing, Social-Media-Marketing, Digitaler Darwinismus, Digital Branding, Dematerialisierung, Change-Management, Künstliche Intelligenz, Agiles Management, strategisches sowie internationales Marketing gesetzt und eine Vielzahl von Unternehmen im In- und Ausland in diesen Themenfeldern beraten. 

Seine jüngsten Buchveröffentlichungen sind „Toolbox für Marketing und Management“, „Künstliche Intelligenz verstehen“ (2019, zusammen mit Marie Sirrenberg), „B2B-Online-Marketing und Social Media (2. Aufl., 2020, zusammen mit Andrea Rumler und Benjamin Wille-Baumkauff), „Voice-Marketing“ (2020, zusammen mit Darius Vousoghi), „Die digitale Verführung“ (2020), „Kundendialog online und offline“ (2021), „Praxisorientiertes Online Marketing“ (4. Auflage, 2021), „Social-Media-Marketing kompakt“ (2. Aufl., 2021), „E-Mail-Marketing kompakt“ (2. Aufl., 2021), „Online-Marketing – Studienwissen Kompakt (3. Aufl., 2021) und „Toolbox für Digital Business“ (2021).

Darüber hinaus leitet Prof. Dr. Ralf T. Kreutzer die berufsbegleitende Ausbildung zum Chief Digital Officer (CDO) sowie das Seminar Nachhaltige Unternehmensführung bei der Bitkom Akademie.

www.ralf-kreutzer.de

 

 

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